Über IHRISS
IHRISS: Der Name ist ein Wortspiel aus „ihr“ und „Riss.“ Es soll „ihren Riss“ im Leben, im Lebenslauf versinnbildlichen. Im Logo des Vereins ist die Blüte der Iris mit ihrer zarten Schönheit dargestellt.
Entstehungsgeschichte
IHRISS e.V. bietet seit dem 01.01.1992 als erste und leider bisher einzige Einrichtung in Schleswig-Holstein ein Treffpunkt- und Beratungsangebot speziell für Frauen an, die von psychischer Krankheit bedroht oder betroffen sind. Die Entstehung unserer Institution steht im Zusammenhang mit der Ende der 80er Jahre aufgekommenen öffentlichen Diskussion zur Situation von Frauen in der Psychiatrie. Entsprechend stellte die Landesregierung in ihrem Psychiatrieplan 1990 einen Bedarf an frauengerechten Angeboten fest und erklärte ihren Willen zur Unterstützung entsprechender Konzeptionen. In dieser Zeit begann auf Initiative des Trägervereins donna klara e.V. zunächst in dessen Räumen die Arbeit des Projektes IHRISS mit der spezifischen Zielgruppe psychiatrieerfahrene Frauen. Die Motive für die Initiierung dieses Projektes lagen in der Unvereinbarkeit der Arbeit mit Frauen mit psychiatrischen Erkrankungen und den konzeptionellen Rahmenbedingungen der Beratungsstelle donna klara. Diese Frauen “sprengten den Rahmen”, sie konnten nicht in angemessener Weise gefördert und unterstützt werden. Aufgrund der großen Nachfrage wurde bereits nach wenigen Monaten ein Umzug in die heute noch existierenden Räume in der Jeßstraße 3 in Kiel erforderlich. Am 01.01.1994 übergab der Verein donna klara e.V. die Geschäfte des Projektes IHRISS vollständig dem Verein IHRISS e.V., der aus einem Förderkreis interessierter Frauen hervorging. Inzwischen ist unser gemeindepsychiatrisches, geschlechtsspezifisches Angebot ein wichtiger Baustein im Rahmen einer Gesamtentwicklung der psychiatrischen Versorgung weg von den großen Kliniken und Institutionen hin zu alltags- und wohnumgebungsnäheren Einrichtungen und hat sich in der Psychiatrielandschaft Schleswig-Holsteins etabliert und vernetzt. In dem im Jahr 1995 erschienenen “Bericht zur Umsetzung des Psychiatrieplanes 1990” bezeichnete die Landesregierung IHRISS e.V. ausdrücklich als notwendiges und beispielhaftes sozialtherapeutisches Angebot für Frauen. Auch im Psychiatrieplan 2000 des Landes wird IHRISS als zu fördernde Einrichtung mit Kontaktstellenfunktion explizit genannt. Ebenso namentliche Erwähnung findet unsere Einrichtung im Gutachten zur Psychiatrieplanung für die Landeshauptstadt Kiel (2004). Die Beratungsstelle IHRISS wird hier als wichtige Anlaufstelle bezeichnet, die unbedingt erhalten werden solle und deren unsichere Finanzierung ihrer großen Bedeutung nicht entspräche.
Einführung
Geschlechtsspezifische Arbeit mit psychiatrieerfahrenen Frauen bedeutet immer auch Arbeit mit Frauen, die in ihrer Kindheit sexualisierte, physische und/oder psychische Gewalt erfahren haben. Dieser Umstand entspricht sowohl den Ergebnissen wissenschaftlicher Studien als auch unserer Berufserfahrung. In unserer Einrichtung berichten ca. 80% der Nutzerinnen von sich aus über sexualisierte Gewalterfahrungen. Davon ausgehend, dass einige Frauen ihre Gewalterfahrungen aufgrund von Verdrängungsmechanismen nicht erinnern und andere von diesen Erfahrungen noch nicht erzählen mögen, kann davon ausgegangen werden, dass die tatsächliche Zahl noch darüber liegt. Dieser hohe Anteil Gewaltüberlebender unter unseren Nutzerinnen kann als ein Beleg für die Richtigkeit jener wissenschaftlichen Untersuchungen, die ebenfalls einen sehr hohen Anteil Opfer sexualisierter Gewalt unter psychiatrisch Erkrankten fanden, gewertet werden und spiegelt zudem sicherlich auch die Bedürftigkeit dieser Frauen nach speziellen Schutzräumen wieder. Die Tatsache, dass wiederholte sexualisierte, körperliche und seelische Gewalt in der Kindheit “verrückt”, depressiv, phobisch etc. machen kann, ist nicht nur wissenschaftlich, klinisch ableitbar (vgl. z. B.: P. Hilsenbeck, 1998, in “Handwerksbuch Psychiatrie”), sondern wahrscheinlich auch intuitiv verstehbar für jede(n), der oder die sich in die Lage solcher Kinder hineinversetzt.
Psychische Krankheit und Psychiatrieerfahrung bedeutet in unserer Kultur immer noch ein Stigma. Dieser Umstand verstärkt die soziale Isolierung, das negative Selbstbild und die Hilflosigkeitsgefühle dieser Menschen mit psychischer Erkrankung. Dieser Umstand führte zu der bewusst niedrigschwelligen Formulierung “…für Frauen mit und ohne Psychiatrieerfahrung” in unserem Titel um potentiellen Nutzerinnen so den Zugang zu erleichtern. Die Frauen, die wir erreichen, sind unabhängig von dieser Formulierung in der Regel psychiatrieerfahren, viele leiden unter chronifizierten psychiatrischen Erkrankungen, wie Psychosen oder schweren Persönlichkeitsstörungen. Der kleine, überschaubare Rahmen und die Möglichkeit, erstmal unverbindlich “zum Kaffeetrinken” zu kommen, verringern ebenfalls die Zugangsschwelle.
Darüber hinaus bietet unser Konzept psychiatrisch erkrankten Frauen einen Schutzraum, in dem sie auf Fachfrauen treffen, die um die geschlechtsspezifischen Sozialisations- und Lebensbedingungen von Frauen wissen und die Umsetzung der Leitlinien “Hilfen für psychisch kranke und behinderte Frauen” des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales für sinnvoll erachten.
Wie das Robert-Koch-Institut in ihrem Gesundheitsbericht 2006 formulierte spielen Psychische Erkrankungen eine immer größere Rolle. Psychische Erkrankungen sind weit in der Allgemeinbevölkerung, vor allem bei Frauen, verbreitet. Auch der BKK Bundesverband stellte in seinem letzten Gesundheitsbericht fest: Psychische Erkrankungen sind die einzige Krankheitsart, die einen zunehmenden Trend aufweisen. Bei IHRISS bemerken wir diesen Trend an der Nachfrage nach unseren Leistungen und würden uns wünschen, dass unsere finanzielle Ausstattung nicht weiterhin gegenläufig zu diesem Trend ist.
Zielgruppe
Unsere Angebote richten sich an Frauen aus Kiel und ganz Schleswig-Holstein, die an psychiatrischen Störungen, wie Depressionen, Angststörungen, Borderline- und anderen Persönlichkeitsstörungen oder psychotischen Erkrankungen leiden und die ein niedrigschwelliges, frauenspezifisches Angebot benötigen und wünschen. Öffentlich richten wir unser Angebot an “Frauen mit und ohne Psychiatrieerfahrung”. Diese bewusst niedrigschwellige Formulierung verringert bei potentiellen Nutzerinnen die Schwellenangst, da “Psychiatrieerfahrung” und psychische Krankheit immer noch einen gesellschaftlichen Makel beinhalten und tabuisiert sind. Der Besuch unserer Beratungsstelle käme bei einer eindeutigen Formulierung einem “Outing” gleich. Tatsächlich haben etwa 90% einen oder mehrere Klinikaufenthalte hinter sich. Bis auf wenige Ausnahmen haben alle Nutzerinnen im ambulanten oder stationären Rahmen eine bzw. mehrere psychiatrische Diagnosen erhalten.
Zielsetzung
Die Ziele unserer gemeindepsychiatrischen Arbeit liegen in der Verhinderung von Psychiatrieaufenthalten (Erst- und Wiedereinweisungen) sowie in der Verkürzung der notwendigen Dauer von stationären Behandlungen. Positiv formuliert geht es uns um eine Stabilisierung der betroffenen Frauen durch eine möglichst umfassende Stärkung der Selbsthilfekompetenzen sowie um eine Förderung ihrer sozialen Bezüge. Mit IHRISS wurde ein Raum geschaffen, in dem von professioneller Seite auch auf die krankmachenden Lebensbedingungen, die Frauen betreffen, besonders geachtet wird und ausreichend Kenntnisse und Erfahrungen hierzu vorhanden sind. Unser Blick ist ressourcenorientiert, d.h. in erster Linie bewusst machend und wertschätzend auf positive Potentiale gerichtet. Statt auf die durch die Erkrankung entstandenen Defizite zu fokussieren ist es unsere Zielsetzung, vorhandene Stärken deutlich zu machen und deren Umsetzung und weitere Förderung anzuregen. Die verschiedenen Arbeitsbereiche unserer Beratungsstelle sind aufeinander abgestimmte Leistungen, die in ihrer Gesamtheit die Verwirklichung unserer Zielsetzungen gewährleisten sollen. Als Entwicklungsziele, die zur Stärkung der individuellen Nutzerin führen, können folgende Ziele unserer Arbeit formuliert werden:
Psychiatrieerfahrene Frauen sollen entsprechend ihrem eigenen Bedürfnis
- über verbesserte Selbsthilfefertigkeiten verfügen
- eine vergrößerte Handlungsautonomie erwerben und neue Handlungsstrategien entwickeln
- über verbesserte soziale Kompetenzen und verbesserte Kommunikationsfertigkeiten verfügen
- besser mit Alltagsbelastungen umgehen können
- durch die Aufnahme und Gestaltung neuer sozialer Beziehungen weniger sozial isoliert sein
“Ich fühle mich einsam und habe niemanden zum Reden. Hier kann ich immer mit jemandem reden und über alles reden.” Nutzerin, 34 Jahre
- über eine regelmäßigere Tages- und Wochenstruktur verfügen
- besser über aktuelle Erkenntnisse bezüglich Entstehung Verlauf, Therapie und Selbsthilfemöglichkeiten ihrer jeweiligen psychischen Erkrankung informiert sein
- mit ihrer psychiatrischen Erkrankung konstruktiver umgehen können
- besser über das psychosoziale Angebotsspektrum informiert sein
- eine verbesserte Einbindung in das psychosoziale Versorgungsnetz haben und nicht als sogenannte“Drehtürpatientinnen” wiederkehrende, stationäre Versorgung benötigen
- eine verbesserte Fähigkeit zur Wiedereingliederung in die Erwerbstätigkeit haben
- eine passende Beschäftigunsmöglichkeit finden und umsetzen
Gründe für den Besuch unserer Beratungsstelle
Im Jahr 2006 haben wir 150 verschieden Frauen mit unserem Angebot versorgt sowie zahlreiche weitere mit einmaligen Informationen. Dabei nutzen die verschiedenen Frauen unser Angebot ganz individuell. Unsere typische Nutzerin ist eine Frau mit psychiatrischer Erkrankung, die verschiedene Angebote regelmäßig nutzt, um ihre soziale Isolierung aufzubrechen, sich eine Wochenstruktur zu schaffen ihre soziale Teilhabe zu verbessern und ihre Selbsthilfefertigkeiten auszubauen. Andererseits gibt es Frauen, die ganz gezielt das Beratungsangebot oder eine spezielle Gruppe in Anspruch nehmen, um sich zu stärken, etwas zu klären und/oder sich im Hilfenetz zu orientieren.
Bei einem Wegfall unseres Angebots durch weitere Existenz gefährdende finanzielle Kürzungen würden unsere Nutzerinnen aufgrund ihrer psychischen und sozialen Situation größtenteils nicht auf andere, weniger spezifische und höherschwellige Angebote zurückgreifen, sondern sich zurückziehen.
Als Folgen sind zu erwarten:
- vermehrte stationäre Klinik-Aufenthalte und insbesondere bei Langzeithospitalisierung weitere Folgekosten (z.B.: Frühberentung)
- vergrößerter Betreuungsbedarf (ambulant betreutes, teil- und vollstationäres Wohnen
- vermehrte Kosten durch Rückfall in den Sozialhilfebezug oder vorübergehende Obdachlosigkeit
- vermehrte Fremdunterbringung der Kinder.
Im Folgenden die konkreten Gründe und Bedürfnisse, die die Frauen in unsere Beratungsstelle führen:
- psychische Krisen
- Auseinandersetzung mit der psychischen Erkrankung
- Aktivierung und Ausweitung der eigene Selbsthilfefertigkeiten
“Was ist denn eigentlich Borderline und wieso hab ich das?” Nutzerin, 22 Jahre “Was kann ich tun, um seltener psychotisch zu werden?” Teilnehmerin Psychose-Gruppe, 31 Jahre “Wie kann ich es schaffen, mich nicht mehr zu schneiden?” Nutzerin mit mehrjährigem selbstverletzendem Verhalten, 35 Jahre
- soziale Isolation, soziale Kontakte.
- Nutzung eines Schutzraumes Auseinandersetzung mit Psychiatrieaufenthalten Austausch mit anderen psychiatrieerfahrenen Frauen
- Wochenstruktur mit anderen Betroffenen kreative Aktivitäten ausführen mit anderen Betroffenen Ausflüge unternehmen, Feste begehen
- Unterstützung bei wichtigen Entscheidungen, bei der Lebensplanung (z.B.: auch Integration in den Arbeitsmarkt) lebenspraktische Unterstützung
- Informationsbedürfnis bzgl. ambulanter und stationärer Therapiemöglichkeiten betreuter Wohnformen
- Beschäftigungsmöglichkeiten der jeweiligen psychischen Erkrankung Möglichkeiten zur Selbsthilfe
- sozialrechtlicher Fragen